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Persönlichkeitsdimensionen

In den folgenden Kapiteln werden die sechs Dimensionen der Persönlichkeitsanalyse IdentyFi® Pro definiert. Es wird auf Ähnlichkeiten und Unterschiede von IdentyFi® Pro mit dem Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP; Hossiep & Paschen, 2003) sowie dem Verfahren NEO-Persönlichkeitsinventar nach Costa und McCrae in der revidierten Fassung eingegangen (NEO-PI-R; Ostendorf & Angleitner, 2004). Eine Übersicht mit einer detaillierten Interpretationshilfe findet sich im Anhang dieses Handbuchs.

Gewissenhaftigkeit

Gemäss den Befunden von Barrick und Mount (1991) weist unter allen Big-Five-Dimensionen Gewissenhaftigkeit den stärksten Zusammenhang mit beruflicher Leistung auf. Die Dimension wird in IdentyFi® Pro durch die zwei Facetten Sorgfalt und Zuverlässigkeit beschrieben. Die Dimension Gewissenhaftigkeit macht Aussagen darüber, mit welcher Genauigkeit, Sorgfalt, Zuverlässigkeit und Detailorientierung eine Person ihre Arbeit erledigt und mit wie viel Willen und Antriebskraft Aufgaben erfolgreich und bis zu Ende bearbeitet werden. Ausserdem wird erfasst, wie hoch der Stellenwert von Arbeit, Leistung und Karriere bei einer Person ist. Ebenfalls werden Ordentlichkeit, Planung von Aufgaben wie auch Kontrolle geleisteter Arbeit thematisiert.

Im Persönlichkeitsverfahren NEO-PI-R (Ostendorf & Angleitner, 2004) wird Gewissenhaftigkeit mit verschiedenen Facetten beschrieben. Dabei kommt dem Konzept der Impulskontrolle eine wichtige Rolle zu, denn neben der Regulation von Begierden und Wünschen existiert eine zweite Art von Selbstkontrolle in Form von Planung, Organisation und Durchführung von Aufgaben. Diese Form ist Grundlage der Dimension Gewissenhaftigkeit gemäss NEO-PI-R (Ostendorf & Angleitner, 2004). Personen mit hoher Ausprägung beschreiben sich als zielstrebig, ehrgeizig und fleissig. Gewissenhaftigkeit steht in Zusammenhang mit akademischer und beruflicher Leistung (Barrick & Mount, 1991). In hoher Ausprägung steht Gewissenhaftigkeit jedoch in Verbindung mit einem übertrieben hohen Niveau des Anspruchsniveaus gegenüber sich selbst oder mit zwanghafter Ordentlichkeit (Ostendorf & Angleitner, 2004).

Gewissenhaftigkeit gemäss IdentyFi® Pro weist des Weiteren Überschneidungen mit Selbstdisziplin als Gewissenhaftigkeits-Facette gemäss NEO-PI-R auf. Unter Selbstdisziplin wird konsequentes, unermüdliches und ausdauerndes Verhalten bei der Arbeit sowie das Nicht-Herauszögern lästiger Arbeiten verstanden (Ostendorf & Angleitner, 2004). Dieses selbst gesteuerte Einhalten und Verfolgen von Zielen oder Fristen wird auch in der Gewissenhaftigkeit gemäss IdentyFi® Pro erfasst. Es wird dabei in IdentyFi® Pro verstärkt auf das Verhalten – wie die Einhaltung von gesetzten Prioritäten und die Umsetzung der Planung – eingegangen. Gewissenhaftigkeit kann als gegenläufig zu der Tendenz, Entscheidungen hinauszuschieben und Probleme zu ignorieren, verstanden werden (im Sinne von Prokrastination; Di Fabio, 2006).

Sorgfalt

Die Facette Sorgfalt beschreibt, wie exakt, ordentlich und gründlich Aufträge erledigt und Kontrollen durchgeführt werden. Sorgfalt, wie sie gemäss IdentyFi® Pro erfasst wird, weist am ehesten Ähnlichkeit zu den Facetten Ordnungsliebe und Pflichtbewusstsein im Persönlichkeitsverfahren NEO-PI-R (Ostendorf & Angleitner, 2004) auf. Personen mit hoher Ausprägung der Facette Ordnungsliebe werden als «organisiert, systematisch und pedantisch» (Ostendorf & Angleitner, 2004, S. 38) beschrieben. Hingegen beschreiben sich Personen mit niedriger Ausprägung als wenig organisiert und unsystematisch in ihrer Arbeitsweise. Personen mit hoher Ausprägung der Facette Pflichtbewusstsein werden als «genau, pünktlich und zuverlässig» (Ostendorf & Angleitner, 2004, S. 38) bezeichnet. Sehr pflichtbewusste Personen erfüllen peinlich genau ihre Verpflichtungen. Hingegen beschreiben sich Personen mit niedriger Ausprägung als ungenau, wenig verantwortungsbewusst und unsorgfältig in ihrer Arbeitsweise. Komponenten dieser zwei Big-Five-Facetten werden in der Facette Sorgfalt gemäss IdentyFi® Pro aufgegriffen. Sorgfalt beinhaltet jedoch nur die Aspekte Ordentlichkeit und Exaktheit, wohingegen der Aspekt Pünktlichkeit in der Facette Zuverlässigkeit erfasst wird.

Die Facette Sorgfalt lässt sich in Analogie zur Operationalisierung der Gewissenhaftigkeit gemäss BIP (Hossiep & Paschen, 2003) setzen. Im BIP wird ein Teilaspekt der Gewissenhaftigkeit, nämlich Sorgfalt und Präzision, untersucht. Begründet wird diese Beschränkung, «… da sich gerade in diesem Punkt (Pragmatismus versus Perfektionismus) viele Tätigkeitsanforderungen deutlich unterscheiden und eine mit anderen Aspekten möglichst nicht konfundierte Messung sichergestellt werden sollte» (S. 28). Personen mit hoher Ausprägung versuchen jede begonnene Aufgabe so gründlich und präzise wie möglich zu bearbeiten. Dabei ist ihnen das korrekte Einhalten von Fristen sehr wichtig. Ebenso bleiben sie auch dann noch ausdauernd bei der Sache, wenn es auf Einzelheiten und Details ankommt (Hossiep & Paschen, 2003). Wie in der Facette Sorgfalt gemäss IdentyFi® Pro wird auch im BIP erfasst, wie sorgfältig und genau Arbeiten erledigt werden. Die Erledigung von Kontrollen wird in IdentyFi® Pro ebenfalls konkret abgefragt. Der Aspekt der Fristeneinhaltung wird hingegen in IdentyFi® Pro separat in der Facette Zuverlässigkeit erhoben.

Zuverlässigkeit

Die Facette Zuverlässigkeit beschreibt, wie diszipliniert Arbeiten angegangen werden und ob diese termingerecht erledigt werden.

Die Facette Zuverlässigkeit lässt sich in Bezug zum Persönlichkeitsverfahren NEO-PI-R setzen. Zuverlässigkeit lässt sich ebenso wie Sorgfalt in eine Facette der Gewissenhaftigkeit des Fünf-Faktoren-Modells einordnen, nämlich Pflichtbewusstsein (Ostendorf & Angleitner, 2004). Personen mit hoher Ausprägung im Pflichtbewusstsein beschreiben sich unter anderem als zuverlässig, prinzipientreu und pünktlich.

Nebst den unter "Sorgfalt" aufgeführten Ähnlichkeiten zu den Big-Five-Dimensionen gemäss NEO-PI-R lässt sich bezüglich der Zuverlässigkeit zudem die Selbstdisziplin als Gewissenhaftigkeits-Facette gemäss NEO-PI-R aufzählen. Unter Selbstdisziplin wird konsequentes, unermüdliches und ausdauerndes Verhalten bei der Arbeit verstanden sowie das Nicht-Hinauszögern lästiger Arbeiten (Ostendorf & Angleitner, 2004). Dieses selbstgesteuerte Einhalten und Verfolgen von Arbeiten wird auch in der Facette Sorgfalt gemäss IdentyFi® Pro erfasst. Jedoch wird in IdentyFi® Pro verstärkt auf das zuverlässige Verhalten – wie die Einhaltung von gesetzten Prioritäten und die Umsetzung der Planung – fokussiert, als dass (wie bei der Selbstdisziplin sensu NEO-PI-R) auf den Umgang und das psychische Befinden bei der Aufgabenerledigung eingegangen wird.

Eine geringe Ausprägung in der Facette Zuverlässigkeit steht in Zusammenhang damit, dass mit der Einhaltung von Terminen, Prioritäten und Planungen Schwierigkeiten erlebt werden. Mit diesen Eigenschaften kann das Konstrukt Prokrastination verbunden werden. Darunter ist unter anderem das Hinausschieben von Entscheidungen und das Ignorieren von Problemen (Di Fabio, 2006) zu verstehen. Allgemeiner kann Prokrastination auch als das freiwillige Hinausschieben von einem Vorhaben verstanden werden, das ungeachtet der aufgrund des Aufschubs erwarteten Verschlechterung eingegangen wird (Steel, 2007). Prokrastination wird als Persönlichkeitsdisposition eingestuft, denn Personen zeigen über verschiedene Situationen und Zeiten hinweg ein ähnlich hohes Mass an Prokrastination (Steel, 2007). Den höchsten Zusammenhang zu den Big Five weist Prokrastination mit Gewissenhaftigkeit auf. Dieser Zusammenhang ist negativ, das heisst, je mehr Prokrastination eine Person zeigt, desto weniger gewissenhaft beschreibt sie sich gewöhnlich (Steel, 2007). Insbesondere weist Prokrastination einen sehr hohen negativen Zusammenhang mit der NEO-PI-R-Facette Selbstdisziplin auf (Schouwenburg & Lay, 1995; Watson, 2001). Die Relevanz von Prokrastination (und damit von mangelnder Zuverlässigkeit im Berufsalltag) wird dadurch deutlich, dass auch metaanalytische Befunde anzeigen, dass mit einem hohen Mass an Prokrastination schlechtere Arbeitsleistungen einhergehen (Steel, 2007).